Fassade Köln

Reinhard Matz – Fotografien

 

Kippbare Kleinfenster mit Vase an Gardine, Klinkerfassaden in Schwimmbadblau und Balkone wie für Einbeinige konzipert. Das Stadtbild ist penetrant unauffällig. Ein endloser Vorort. Spießerverdacht: Reinhard Matz entführt uns in die bis heute andauernde Nachkriegszeit der Einfachheit von Fertigbau und Provinzialität. Obwohl ´Fassade.Köln´ die Rheinmetropole portraitiert, sind die Ansichten bundesglobal - die Straßen sind eng, die Häuser schmal, die Mittel knapp.

Hausbesitzer wählen Garagentore aus Blech und Klinker als Backsteinsublimat - man klopft, und es klingt hohl. Presspappe statt Putz, Alu statt Eisen und Styropor statt Stuck. Die Architekturen sind ästhetikresistent und fast postmodernefrei. „Es scheint“, so Matz, „als würde daran gearbeitet, aus der potentiellen Großstadt Köln eine Kleinstadt zu machen“.

Je länger der Blick aber flaniert, desto versöhnlicher stimmt all das Heimelige. Wider die gewohnte Betonbracchialität wirkt das Puppenhafte wohlig intim: Matz gelang auf über 250 handlichen Seiten in wetterfestem Umschlag ein Stadtführer über das ´wahre´ Köln. Touristenmagazine, Galerien und Postkartendom sind fern. Hier wohnen die Leut. Überall hier wohnt mein Onkel aus Bielefeld.

Die Fotografien sind poetische Stilleben, die das Faktum Köln ins Private transzendieren. Onkel liebt Buchstabensuppe. Die versiert ins Bild gebrachten Sammlerstücke sind Lynch-artig. Das Gruseln ermuntert zum Stadtgang. Nicht verpassen: In der Roßstr. 19 hat sich jemand Pferdeäpfel aus Blei an die Eingangstüre geworfen (S. 207). Man verhandle mit dem Paul Klee Fan in der Witschgasse 6 (S. 203) über den Preis für seine sagenhafte quietschgelbe 70er Jahre-Eingangstür (eventuell wertvoller als das Haus), beklage den Pfusch durch Plastik am Müllcontainer Horn- Ecke Liebigstr. (S. 191) und klaue in der Nikolausstr. 118 (S. 190) das Briefkastenemaille für den Flohmarkt.

Ein wesentliches Verniedlichungselement in Köln sind Klinkerornamente. Sie korrespondieren mit den ostdeutschen Gestaltungbauteilen, sind aber utopieneutral. An die Fassaden gepappt sollen die Buntheitssprengsel Individualität vortäuschen. Anordnung, Farbkombination und Musterlogik sind bemerkenswert und erfrischend. Man gehe zum Gereonswall 37 (s. 255) und frage, wer der Kreator des konstuktivistischen Kachelmixes war und was er sich dabei dachte. Noch prächtiger die intarsienähnliche Arbeit in der Clemensstr. 33 (S. 231) und die Ruinensimulation der Klosterstr. 19 (S. 221).

Ortsübergreifend freilich stimmen die Klinkerfronten, die Schießschartenfenster, die Glasbaustein-Ensembles und Türumrahmungen traurig. Sie beruhen auf einer Kleinstadtkomik, die tragisch ist. Bleibt die Frage nach Gegenstrategien. Abriss geht wegen Onkel nicht und weil die Stadt schon mal zerstört war. Doch Kosmetik würde alles noch schlimmer machen. Man sollte – Matz sammelte Schätze genug – die Ensembles kitschgenießend unter Denkmalschutz stellen. Jedenfalls merke man für die Zukunft: Beton verdreckt schnell, Klinker dagegen ist abwaschbar. Erinnert aber eher an Klo als an Stadt.

Matthias Groll



erschienen in European Photography Nr. 77, 2005