Deutschlandbilder -  17 fotografische Positionen

Ostkreuz. Agentur der Fotografen


Picknick als Naturkatastrophe: Gräser werden geknickt, Insekten zerdrückt. Mag sich die Resistenz sozialer Systeme komplexer verhalten als das Erstarken einer Wiese, das Grasdesaster (Thomas Meyer) ist zentrales Sinnbild für die Lage im Land. Reichlich Dellen, wenig Strategie, doch Resthoffung.

Deutschlandbilder. Zwischen Platte, Stadtzerstörung und Gleichgültigkeit folgen die fotografischen Stillleben von Jordis Antonia Schlösser der Trostlosigkeit des Randzonendaseins. British Bronx in Germany? Anne Schönharting dokumentiert in Armut aufwachsende Kinder. Sie sind scheu und sehnsuchtsvoll. Also raus aus dem Mief: In den ´Temporären Architekturen´, den Abbauphasen von Volksfesten folgt Werner Mahler UFO-ähnlichen Landbesetzungen. Das Feiern war fein. Muss ja. Muss ja.

17 Autorenfotografen der Berliner Agentur OSTKREUZ gehen in ´Deutschlandbilder´ der Seele des Landes auf den Grund. Sensibel und neugierig. Zeiten und Orte kreuzen sich: Sibylle Bergemann konserviert ´verblassende Erinnerungen´ ehemaliger Wichtigkeiten. Harald Hauswald konfrontiert brachiale wie poetische Sozialismus-Zeugnisse mit neuen Urbanitäten. Dawin Meckel zeigt, wie schwabennah die Deutschkultur noch in einer ehemaligen deutschen Kolonie in Namibia fortlebt. Man besuche den Pfälzer Ort ´Hassloch´ (Nicole Angstenberger), das offizielle Durchschnittsnest der Republik, das seit Jahrzehnten bewährtes Testfeld für Marktneueinführungen ist. Mittelmaß ultra. Den Kampf gegen das Land erleben Ausländer im Abschiebegewahrsam (Maurice Weiss), wohingegen ihn russische Migranten vielleicht gewonnen haben (Wolfgang Müller). Die Trashkultur des Berliner Underground (Julian Röder) schließlich belegt bei Party, Punk und Poesie, dass Spaß auch ohne Visionen müde macht.

Ganz anders die Alten: Ute Mahler führt die Kampf-Oma vor. Und Alte, die, einer eigenen Gattung gleich, sicherheitserprobt die alten Fahnen schwingen. Utopien gibt es auch: das Luftschloss und das Eigenheim. Ironiefrei folgt Wolfgang Bellwinkel dem Provinz-Heil bei Fertigbau und Gartenruhe. Deutscher Wald mal Sonnenschein macht ausgeglichen. ´Am Sonntag´ (Annette Hauschild) ist Kirchgang, eine Parade und Papa fährt das Auto aus. Auch für Niveau ist gesorgt: In ´Die Besten Deutschlands´ versammelt Heinrich Völkel Bauchtanzköniginnen, Rodeosieger und Wellensittichzüchter. Lauter Helden.

Demgegenüber ist die Politik das eigentliche soziale Drama: Michael Trippel entlarvt die Inszenierungen der Macht als bitterböse Pose. Als fände sie im Aufzug statt, der den Applaus - zum Glück - absorbiert. Das Duo Schröder-Bush wie Klone ihrer selbst, Angela Merkel am Pult wie vorm Gnadenausschuss. Eine Kaste jenseits der Freuden und Tragödien des Realdesasters. Ob Merkel Auto fahren kann, fragt man sich schon beim Eröffnungsbild des Bandes: eine junge Frau vor mattem Ost-Ambiente in Berlin Mitte am Lenkrad (Linn Schröder). Sie wird Gas geben.

Der 1990 von sieben ostdeutschen Fotografen gegründeten und mittlerweile inklusive Westzuwachs mit 17 Künstlern etablierten ´Agentur der Autorenfotografen´ gelang OSTKREUZ ein komplexes Deutschlandbild. Zwischen Idylle und Abgrund werden soziale Zustände nicht durch Lamentieren zementiert, sondern analytisch dem zukunftsoffenen Diskurs zugeführt - Christoph Ribbat spricht vom ´rätselhaften Realismus´. In Berlin startend tourt die Ausstellung über Mailand und Moskau unter anderem nach Delhi und Singapur. Der Welt präsentiert sich ein Land voller Brüche, eine Kultur auf Identitätssuche. Dabei wächst die Neugier auf das Triviale. Der Überbau versagt, es lebe die Peripherie und das Glück im Kleinen. Auf dass der Schmerz nachlässt.                     

Matthias Groll



erschienen in European Photography Nr. 78, 2006