Handbuch der Kommunikationsguerilla

Luther Blissett / Sonja Brünzels:


Hamburg & Berlin: Schwarze Risse /Rote Straße, 1997. 235 S.


Wo ist der Künstler, der in sein Innerstes horcht, um den Pinsel, den Farbkübel oder die Kamera zu schwingen? Der Pinsel ist dem Pixel gewichen, und der Sinn dem Design. Was bleibt, ist das Sign, die Zeichen, Symbole und Rituale, durch die gesellschaftliche Kommunikation gelingt. Sie stellen die Kunst unter Zugzwang: Die Öffentlichkeit selbst will heute Leinwand sein.

Ob dabei die Politisierung der Kunst oder die Ästhetisierung der Politik ansteht, die politisch leidende und ästhetisch überfrachtete Öffentlichkeit dürstet nach einer Sinnessteigerung durch Interaktion. Wer dem kommunikativen Innovationszwang nicht folgt, wird mit ´lebenslangem Lernen´ bestraft. Umso dringlicher ist die inspirierende Auseinandersetzung mit den Interaktionsstrategien: Zu deren Risiken und Nebenwirkungen lese man das "Handbuch der Kommunikationsguerilla".

"Jetzt helfe ich mir selbst" wirbt ermunternd die Frontpage. Der wie ein ´Wie repariere ich mein Auto´ aufgemachte Ratgeber verspricht ´Pannen zu beheben´: die Panne Öffentlichkeit. Wider "die Gefahr, daß die Utopie einer anderen Gesellschaft nicht mehr gedacht werden kann", stiftet das Buch dazu an, das Gelingen öffentlicher Vermittlungsprozesse nach den Regeln linksautonomer Kunst außer Kraft zu setzen. Die Kunst des Fälschens ist Programm. Vortrefflich eignen sich beispielsweise Hauswurfsendungen und Plakate zur Agitation - sei es zur Aufforderung von Notopfern für Arbeitgeber, zu Bekanntgaben von Gasmaskenausgaben, des Entsorgens ´gebrauchter Batterien in den Briefkästen der Bundespost´, oder der Verlegung einer Wahlveranstaltung in einen Nachbarort. Nachahmenswerte Beispiele gibt es reichlich. So standen während des Berliner Weltklimagipfels - wie empfohlen - Kühlschränke ´gut sichtbar an der Straße´, nachdem die Stadtreinigung zu einer ökologischen Sonderaktion aufgerufen hatte. Oder Tatort München: Schwarzfahrer hatten es während des Weltwirtschaftsgipfel 1992 schwarz auf weiß, denn die gefälschte Kundenzeitung des MVV bat darum, S- und U-Bahnen kostenlos zu benutzen, ´um einen Verkehrskollaps zu vermeiden´. Auch provozieren ungefälschte Plaketten unliebsamer politischer Parteien aufs Schönste, wenn sie an den Windschutzscheiben der Autos braver Bürger kleben.

Kommunikation bestimmt die Welt noch in der Kinderstube: Einerlei, ob es jene zu Weihnacht 1993 gefälschten Barbie-Puppen überhaupt gab, die kinderfreundlich "Dead men tell no lies" sprachen, die Wirkung des Bekennerschreibens sorgte weltweit für Wirbel. Zu Panik kam es 1980 auch in Touristenstädten an der Adria, nachdem in der auflagenstark gefälschten Bild-Zeitung der Aufmacher "Schmidt und Honecker weinten" die Deutsche Wiedervereinigung verkündet wurde.

Die ´Kommunikationsguerilla´ bietet vorbildliches Anschauungsmaterial fürs kommunikative Dreinschlagen - ´Büros für ungewöhnliche Maßnahmen´ werden vorgestellt, Links zum ´Archiv G.Fälscht´ und zu anderen Gruppen gelegt. Und Luther Blisset und Sonja Brünzels, die Inkognito-Herausgeber des Kreativitäts-Crash-Kurses, grüßen alle Zersetzer der ´kulturellen Grammatik´. Schließlich ist das falsche Leben im richtigen Konformismus produktiver als die zeitgemäße Correctnes zur falschen Zeit.

Aber: Vom Einfallsreichtum der ´Spaß-Guerilla´ haben die Institutionen selbst längst gelernt. CDU-Generalsäkretär Peter Hintzes Tankstellenaktion ´Laß Dich nicht anzapfen´ gegen den Vorschlag der Grünen, den Benzinpreis zu erhöhen, steht der Montage des ´Shell´-Zeichens zu ´hell´ in nichts nach. Institutionen und Parteien nutzen die Irreführung, um die eigene Macht subversiv zu stärken. Nicht nur die Verlautbarungspolitiker, auch die Medien sind professionelle Fake-Factories. Die Boulevardpresse arbeitet auflagenstark an der Kreativitätsfront und verbreitet versiert ´Wahrheits´-Viren. Der gesellschaftliche Hauptprozessor scheint auf Zersetzung programmiert, die Subversion selbst oberstes Prinzip zu sein. Michael Born und Konrad Kujau sind die Stars unter den Fälschern.

Der kollektive Interaktionscrash freilich läßt umsomehr auf sich warten, je mehr Störungen verarbeitet werden und als ´anti´ in die medialen Gehirne integriert werden. Bedarf es folglich in Zeiten des digitalen Overkills neuer Strategien kommunikativer Attacken? In der Tat ist ´das Handbuch der Kommunikationsguerilla´ nur ansatzweise multimediatauglich. Es ist zwar ein hüpsch bebildertes ´Guinnessbuch subversiver Rekorde´, die Texte aber zeugen von der Peinlichkeit krampfiger RAF-Romantik. Sowohl die Anarcho-Sprache als auch die Beispiele haben Museumswert.

Die Literaturverweise und Web-´Links´ helfen dennoch beim digitalstrategischen ´Update´. Ob die ´Agentur Bilwet´, die ´Situatiuonistische Internationale´, ob ´Chumbawamba´, ´Oberdada´, ´Burroughs Cut-ups´ oder die eigene Homepage - www.contrast.org/KG/ -, der Ratgeber ist ein Sprungbrett in den Pool der Netzaktivisten. Bei Hackern und Cyberpunks landet man in der guten Gesellschaft der Zeichenkünstler. Sie lassen Bildoberflächen explodieren, veröffentlichen brisante Firmengeheimnisse und stellen die Netzgepflogenheiten auf die juristische Probe.

Die Aktionen freilich laufen Gefahr, von Homepage-Galeristen entdeckt und kapitalistisch entschärft zu werden. Allzu oft werden die kommunikativ Aufmüpfigen zur Nachwuchselite der Computerindustrie rekrutiert. Ohnehin boten dem multimedialen Dasein bislang weder Glasfasersitzblockaden noch Stromzufuhrsaboteure oder Digitalbomben flächendeckend Paroli. Jedes Virus erzwingt seinen Antivirus, ist nur eine ´bessere´ Datei und aus Gründen der Resistenzknappheit der digitalen Systeme umso willkommener, je spektakulärer es vorübergehend für Kurz-GAU sorgt. Selbst der ´Chaos Computer Club´ wurde weder zur digitalen R@F noch zum Sprengmeister des Netzes, sondern zum Seelsorger für Zukunftsstrategien.

Es scheint kein ´Darüberhinaus´ der Medien zu geben, solange man sich in ihnen bewegt. Die inspirierte Innerlichkeit des Künstlers aber wird zusehends deckungsgleich mit dem Innenraum der Medienmacht. In ihm wird die Waffe Kommunikation zum Pinsel: Es geht heute - klick - ganz im Sinne der ´Guerilla´ darum, das ´öffentliche Bild´ und das interaktiv Globale ästhetisch in die Luft jagen.

 

                                          Matthias Groll

 


erschienen in European Photography Nr. 63, 1998