Fashion Photography of the Nineties - Camilla Nickerson & Neville Wakefield

Fashion Images de Mode No.1 (Foto) - Lisa Lovat-Smith

Jürgen Teller

 

     Leider ist Modefotografie nicht zuständig für Staubsaugerwerbung. So macht denn auch keiner sauber in den Studios und die Models müssen sich in Schmutz und Zigarettenkippen räkeln. Sie emanzipieren sich ihrer Funktion als erotische Kleiderständer, verlassen die Kulissenwelt der Ablichtungsindustrie und proben den Zeitgeist der Mode im Rinnsal: Die rauhe Realität rückt den Modemagazinen als Ambient-Attacke in den Glanzlack. Das Schminkdesaster wird zur Kür und der thrill des versifften Blicks trifft die potentiellen Kunden hinterrücks: Es darf mir schlechter gehen, als das Produkt erlaubt.

    Individuelle Ängste, gesellschaftlicher Verfall und sexuelle Besessenheit werden nicht vertuscht, sondern sind Thema der Verführung. Faszinierend ehrlich die inszenierten Abgründe, noch ehrlicher die Narben, doch am ehrlichsten das rohe Fleisch: FASHION Photography of the Nineties (bei Scalo) versammelt die zerschrammten Leiber von Bikiniköniginnen und Schwanzträgern als Poesiealbum von Verruchtheit und Vergänglichkeit. Den Geschöpfen ist entweder ein Besuch beim Friseur oder eine Therapie - oder beides - zu raten. Scalo präsentiert auch Künstler und Fotographen, die sich kaum für Mode engagieren (C. Sherman und R. Prince) - weniger Fashion, but people ist die Devise. Die über 200, zumeist nackten Halbschönheiten wurden kommentarlos in den Bildband gekippt.

    Auch ´Fashion images de Mode No.1´ (bei Steidl) präsentiert durch Antipose das Grauen der Schönheit. Die nun jährlich erscheinende Bestandsaufnahme ´epochaler Modefotografie´ wankt zwischen Traum und Trauma. Die Infizierung der perfekten Werbekörper mit selbstdarstellerischer Offenheit gerät zur befreiten Zukunftslust und verwischt die Grenzen der Mode zum Leben. Nan Goldins morbide Drag Queens entthronisieren die Podestkunst H. P. Horsts; die träumenden Laufstegexistenzen Jeanloup Sieffs und Peter Lindberghs filigrane Stilleben transzendieren die Tradition der Eleganz. Doch spätestens die Jugendlichen mit coolem C&A-Blick (Mario Testino) zeugen - überzeugend - von der Unsicherheit des Genres.

    Statt einer Schlammschlacht der Körper dominiert bei Steidl eine Körperpoesie, der die Schlacht erst noch bevorsteht. Ordentlich editiert, orginell geordnet und mit Anmerkungen versehen geriet die Zusammenstellung zu einer Soziologie der beauty industry. Sie thematisiert und analysiert sich selbst, sie treibt sich lustvoll den Stachel des neuen Realismus ins Fleisch und feiert zwischen Stil und Stadtneurose den braven planet ultra. 

    Der neue wildlose Star Juergen Teller ist in beiden Bänden präsent und nun bei Taschen in der Abteilung ´world of erotica´ erhältlich. Teller versetzt - den Wolfgang Tillmans-Look übertrumpfend -  der Mode-Correctness einen neuen Schlag ins ästhetische Gewissen. Er läßt die Modewelt erschaudern durch eine Direktheit, der sich kaum zu entziehen ist. Die Blicke der wilden Mädels, Superstars und Deo-emanzipierten Models betreffen. Sie retten die Mode, indem sie Geschichten - Lebensgeschichten erzählen. Teller inszeniert Sehnsucht und den schnellen Blick, er beutet die Situationskomik aus und analysiert die innere Raserei der Unruhekonsumenten als tragikkomische Politiklosigkeit. Er schließt das Leben mit dem mehr-Leben-Wollen kurz.

    So mag er als Einblick in den post-Bennetton-Konsum zur Selbstliebe aufrufen und als Ausblick aufs Themenspektrum des Ozonlochs richtungsweisend sein. Doch auch Teller läuft Gefahr, den trash im romantischen Aschenbecherambiente zu zerdrücken. Das Programm ´Lifestyle ist cool´ in eine Ideologie der ergötzlichen Wehleidigkeit umzubiegen, schützt nicht vor Zeitgeistverfall. 

    Werden die Models nicht mehr auf die Motorhauben schicker Luxuskarossen plaziert, sondern vor (kalte) Zentralheizungen (siehe alle drei Bände) - die Vergänglichkeit der Modeästhetik zeigt sich umso deutlicher, als die Konsumenten längst aus dem Cyberspace beschossen werden: Den Genlabors der Digitalfotografen entlaufen geklonte Puppen in garaniert staubfreie Landschaften (siehe Fashion und Images de Mode). Die mutige Rückeroberung der reinen Ästhetik sorgt für knallbunte Heiterkeit. Knallhart die Pixelperfektion und wohltuend die Befreiung aus dem Mief riechender Leiber. Endlich Mode für Haushaltsroboter!

    Die Dynamik des Virtuellen entlarvt die Realität der Busen- und Po-Ablichtung als ein Endlosrecycling ewig-antiker Posen. Der Schmutz aber, in den sie gegenwärtig gesetzt werden, ist mehr als ein remix aus Dada, Punk und neuer Körperkultur: Selbstbewußt belichtet die junge Modefotografie die junge Partywelt, der die klassische Modeästhetik so krampfig erscheint wie sie aussieht. Doch wer hip sein will, kauft ohnehin second hand.

 

                                  Matthias Groll

 

Sammelrezension für EUROPEAN PHOTOGRAPHY Nr. 61